Der relevante Begriff „Stromerzeuger“ im Umfeld des CO2-Emissionshandels

Wenige Tage vor dem Ende der Antragsfrist auf freie Zuteilung für die vierte Europäische Emissionshandelsperiode platzte die Bombe. Der EuGH hat in seinem Urteil zur ExxonMobil Klage den Begriff „Stromerzeuger“ sehr eng gefasst. Anlagenbetreiber, die ein Kraftwerk zur Strom- und Wärmeproduktion betreiben, werden von der DEHSt voraussichtlich als „Stromerzeuger“ eingestuft, auch wenn der Zweck des Kraftwerks bzw. des BHKWs die Bereitstellung von Wärme und Strom für die Industrieproduktion ist.

Die Konsequenz für viele Anlagenbetreiber, die keine sogenannte „hocheffiziente KWK Anlage“ betreiben, ist voraussichtlich, dass eine freie Zuteilung für die produzierte Wärme nur noch für den Fernwärmeanteil zu erreichen ist.

Stromerzeuger nach EU Emissionshandelsrichtlinie

In der aktuell gültigen Fassung der EU- Emissionshandelsrichtlinie steht:

„Stromerzeuger“ eine Anlage, die am 1. Januar 2005 oder danach Strom zum Verkauf an Dritte erzeugt hat und in der keine anderen Tätigkeiten gemäß Anhang I als die „Verbrennung von Brennstoffen“ durchgeführt werden.

Auch wenn seit 2005 nur eine einzige kWh des erzeugten Stroms außerhalb der Grenze der emissionshandelspflichtigen Anlage genutzt wurde, kann der Anlagenbetreiber als Stromerzeuger eingestuft werden, was, vereinfacht gesagt, zwei nachteilige Konsequenzen auf die Menge der freien Zuteilung von Emissionsberechtigungen hat.

Erstens werden „Stromerzeuger“ gegenüber nicht Stromerzeugern nach Artikel 23 der EU-Zuteilungsverordnung mit dem linearen Kürzungsfaktor eine weitere Kürzung für die freie Zuteilung zu erwarten haben.

Zweitens, deutlich relevanter, steht jetzt durch das EuGH Urteil eventuell die gesamte freie Zuteilung für die produzierte Wärme kraftwerksbetreibender Industrieunternehmen auf dem Spiel.

Die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) konnte in den Leitfäden für das Zuteilungsverfahren 2021-2030 die Konsequenzen, die sich aus dem Urteil zur ExxonMobil Klage ergeben noch nicht reflektieren, entsprechend ist es für die Anlagenbetreiber schwer, die Konsequenzen, die aus der Einordnung als „Stromerzeuger“ ergeben abzuschätzen.

Grund genug, dieses EuGH Urteil einmal von einem Fachmann beschreiben zu lassen. GALLEHR+PARTNER® hat dazu unseren langjährigen Netzwerkpartner und Emissionshandelsexperten, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Partner von Köchling & Krahnefeld Rechtsanwälte Dr. Markus Ehrmann gebeten, dieses Urteil in einem Gastbeitrag für Nicht Juristen zu erklären:


EuGH Urteil vom 20. Juni 2019 in der Rechtssache „ExxonMobil“ – Zusammenfassung und Würdigung

Gastbeitrag: Rechtsanwalt Dr. Markus Ehrmann Köchling & Krahnefeld Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

In seinem Urteil vom 20. Juni 2019 in der Rechtssache „ExxonMobil“ (Az. C-682/17) traf der EuGH Entscheidungen zu drei Aspekten:

Zunächst setzt sich der EuGH mit dem Anwendungsbereich des Emissionshandelssystems der Europäischen Union (EU-EHS) auseinander und legte diesen weit aus (dazu unter 1.). Sodann hatte sich der EuGH mit der Definition des Begriffs „Stromerzeugers“ zu beschäftigen und legte diese ebenso weit aus (dazu unter 2.). Schließlich verneint der EuGH die Frage, ob für Wärme, die in einer Anlage zur Stromerzeugung produziert, aber nicht zur Stromerzeugung eingesetzt wird, eine kostenfreie Zuteilung erfolgen kann (dazu unter 3.).

Dazu im Einzelnen

I. Urteil des EuGH

Dem Urteil lag folgende, technisch komplexe Anlagenkonstellation zugrunde: Die Firma ExxonMobil Produktion GmbH (im Folgenden: ExxonMobil) betrieb eine Anlage, in der im Rahmen einer Erdgausaufbereitung durch eine nicht-emissionshandelspflichtige Tätigkeit ein Produkt (Schwefel) gewonnen wird.

Zugleich wird in der Anlage durch eine emissionshandelspflichtige Tätigkeit (Verbrennung fossiler Brennstoffe in einer Anlage mit einer Feuerungswärmeleistung über dem maßgeblichen Schwellenwert von 20 MW) Strom und Wärme erzeugt. Der Strom wird wiederum hauptsächlich für den Eigenbedarf der Anlage erzeugt und nur zu einem geringen Anteil in das öffentliche Stromnetz gegen Entgelt eingespeist.

1. Anwendungsbereich EU-EHS

Bevor sich der EuGH mit den eigentlichen Fragen befasste, ob diese Anlage ein Stromerzeuger darstellt, setzte er sich zunächst quasi als Vorfrage mit der Frage auseinander, ob die Anlage überhaupt dem EU-EHS unterfällt.

Die EU-EHS-Richtlinie findet Anwendung für die in Anhang I dieser Richtlinie genannten „Tätigkeiten“, wenn diese zu Emissionen von Treibhausgasen führen. Hier hatte ExxonMobil darauf verwiesen, dass es sich bei dem freigesetzten Treibhausgas um sog. „inhärentes CO2“ handele, also CO2, das natürlich im genutzten Rohstoff vorhanden sei.

Dies schließe jedoch nach der Entscheidung des EuGH die Anwendung des EU-EHS nicht aus. Denn aus dem Wortlaut der EU-EHS-Richtlinie folge nicht, dass das freigesetzte Treibhausgas selbst bei diesen Tätigkeiten erzeugt werden muss. Es komme also nicht darauf an, ob das aus der Tätigkeit dieser Anlage resultierende CO2 in dem dort aufbereiteten Rohstoff natürlich vorkommt oder nicht.

Der EuGH folgt also nicht einem ursprünglichen Vorschlag der Kommission, zwischen mittelbaren und unmittelbaren Emissionen zu unterscheiden.

Vielmehr gilt: Wird mit der Verbrennung fossiler Stoffe eine emissionshandelspflichtige Tätigkeit in der Anlage durchgeführt, unterliegen damit alle Emissionen der Anlage dem EU-EHS, auch wenn sie selbst aus einer an sich nicht emissionshandelspflichtigen Tätigkeit, hier der Schwefelgewinnung, stammen.

2. Begriff Stromerzeuger

Sodann musste der EuGH den Begriff „Stromerzeuger“ auslegen. Bedeutung gewinnt diese Auslegung, da Stromerzeuger grundsätzlich keine kostenfreie Zuteilung an Emissionsberechtigungen erhalten, sondern diese ersteigern müssen.

Die EU-EHS-Richtlinie definiert „Stromerzeuger“ als eine Anlage, in der „Strom zum Verkauf an Dritte“ erzeugt wird.

In dem vorliegenden Fall konnte man bezweifeln, ob in der Anlage „Strom zum Verkauf an Dritte“ erzeugt wird, da der erzeugte Strom hauptsächlich für den Eigenbedarf genutzt und nur zu einem geringen Teil gegen Entgelt in das öffentliche Stromnetz eingespeist wird.

Der EuGH stellt jedoch fest, dass der Wortlaut der Begriffsbestimmung „Stromerzeuger“ keine einschränkenden quantitativen Kriterien oder gar einen Schwellenwert für den Verkauf von Strom an Dritte enthält. Dies muss also weder ausschließlich noch hauptsächlich erfolgen.

Der Begriff des Stromerzeugers ist nach der vorliegenden Entscheidung demnach weit auszulegen. Jeder Verkauf des erzeugten Stroms an Dritte, also jede noch so geringe Einspeisung des erzeugten Stroms in das öffentliche Netz, führt dazu, dass die fragliche Anlage als Stromerzeuger zu betrachten ist. Damit wird die Möglichkeit einer kostenfreien Zuteilung von Emissionsberechtigungen weiter eingeschränkt.

3. Zuteilung für Wärme

Soweit der EuGH den Begriff des Stromerzeugers versteht, so eng sieht er zugleich die Ausnahmen für eine kostenfreie Zuteilung für die Wärmeerzeugung in stromerzeugenden Anlagen. Bislang galt der Grundsatz, dass für die Wärmeerzeugung zum Zweck der Stromerzeugung keine kostenfreie Zuteilung erfolgt.

Nach der Entscheidung des EuGH erfolgt nun auch keine kostenfreie Zuteilung von Emissionsberechtigungen für Wärme, wenn diese Wärme in einer stromerzeugenden Anlage gerade nicht zum Zwecke der Stromerzeugung verbraucht wird. Neben der Wärmeerzeugung für Fernwärme ist bei den als „Stromerzeuger“ eingestuften Anlagen nur noch Wärme aus hocheffizienter Kraft-Wärme-Koppelung zuteilungsfähig.

Zu diesem Ergebnis kommt der EuGH, indem er die maßgebliche Bestimmung zur Zuteilung für Wärme in den einheitlichen EU-Zuteilungsregeln im Lichte der EU-EHS-Richtlinie auslegt. Nach der EU-EHS-Richtlinie gilt indes der Grundsatz, dass keine kostenlose Zuteilung an Stromerzeuger erfolgen könne mit der alleinigen Ausnahme, dass für Fernwärme und hocheffiziente Kraft-Wärme-Koppelung in Bezug auf die Wärmeerzeugung Emissionsberechtigungen kostenlos zugeteilt werden.

II. Ausblick

Insgesamt ergibt sich aus der EuGH Entscheidung für die Betreiber stromerzeugender Anlagen ein negatives Bild, so dass zu fragen ist, wie Anlagenbetreiber negative Auswirkungen vermeiden können:
Zunächst wird der Anwendungsbereich des Emissionshandels weit verstanden. Damit müssen auch die Emissionen, die selbst nicht aus einer emissionshandelspflichtigen Tätigkeit stammen, wenn sie in einer emissionshandelspflichten Anlage anfallen, berichtet und Emissionsberechtigungen für diese abgegeben werden. Um diesen Effekt zu vermeiden, könnten die betroffenen Betreiber in Zukunft eine Aufteilung der betreffenden Anlage in zwei Anlagen anstreben, soweit dies technisch und rechtlich möglich ist. Dies könnte in der hier vorliegenden Konstellation zum Beispiel die Aufteilung in eine Anlage zur Schwefelerzeugung und in ein Kraftwerk bedeuten.

Sodann legt der EuGH den Begriff des Stromerzeugers weit aus: Auch bei einer nur geringen Einspeisung von Strom in das Netz soll eine kostenfreie Zuteilung versagt werden.

Schließlich soll nach dem EuGH-Urteil auch für die Erzeugung von Wärme in einer stromerzeugenden Anlage, selbst wenn sie nicht zum Zweck der Stromerzeugung erzeugt wird, keine kostenfreie Zuteilung erfolgen, solange dies nicht für Fernwärme und in einer hocheffizienten Kraft-Wärme-Koppelung erfolgt. Die Wärmeerzeugung in einem nicht hoch-effizienten Industriekraftwerk würde damit keine kostenfreie Zuteilung erhalten. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich dieses Urteil auf die derzeit zur Entscheidung anstehende Zuteilung von Emissionsberechtigungen für die vierte Handelsperiode auswirkt.

Da der EuGH schließlich eigens hervorhebt, dass er keine zeitliche Beschränkung der Wirkung des Urteils vornimmt, könnten sich Auswirkungen nicht nur für die Zukunft ergeben, ggf. könnten auch bestehende Zuteilungen seit 2013 rückwirkend korrigiert werden.

-Ende des Gastbeitrags-


Ökonomische Auswirkungen

Wenn Anlagenbetreiber bisher noch relativ gelassen mit der Einstufung als „Stromerzeuger“ umgehen konnten, ändert sich die Situation spätestens nach dem EuGH Urteil. Für die seit 2013 laufende dritte Emissionshandelsperiode konnte sich teilweise durch diese Einstufung eine höhere freie Zuteilung realisieren lassen. Für die, ab 2021 beginnende vierte Emissionshandelsperiode ändert sich nach dem EuGH Urteil gegebenenfalls jetzt Vieles. Es besteht spätestens dann für nicht wenige dieser Anlagenbetreiber die Gefahr, dass die gesamte Zuteilung für die Wärmeproduktion weg fällt.

Bei einem CO2 Preis von ca. 30€ pro Tonne – das EUA Preisniveau liegt derzeit zwischen 25 und 30 €/EUA – schlagen nach Berechnungen von GALLEHR+PARTNER® die CO2 Kosten eines erdgasbetriebenen Kraftwerks mit zusätzlich gut 6€/MWhErdgas erheblich zu Buche. Bei einem Großhandelspreis von 20€/MWhErdgas machen diese sechs Euro immerhin rund 23% der Gesamtkostenbetrachtung aus.

Bei anderen Brennstoffen schlägt der Kostenaufschlag noch höher zu Buche, wie in der folgenden Tabelle ersichtlich wird.

Bei einem Erdgasverbrauch von 100 GWh/a und einem CO2 Preis von 30€/EUA müssen in der Vollkostenrechnung heute schon rund 600.000 €/a zusätzlich zum Erdgaspreis eingepreist werden
Selbst wenn nur 30% der bei der Erdgasverbrennung freiwerdenden Emissionen durch eine freie Zuteilung gedeckt wären, würden durch den Wegfall der freien Zuteilung bei einem Erdgasverbrauch von 100 GWh/a und einem CO2 Preis von 30€/EUA knapp 200.000 €/a eingepreist werden.

Andererseits kann der, nach Ansicht der Experten weiterhin hohe CO2 Preis, gerade im Hinblick auf die derzeit sehr lukrativen Fördermöglichkeiten im EU Raum bzw. auf Bundes- bzw. Länderebene auch als Chance gesehen werden. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt in die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu investieren.

Bei einem angenommenen Gesamtnutzungsgrad des Kraftwerks von 90% und einem CO2 Preis von 30€/EUA würde eine Effizienzsteigerung des Unternehmens von gut 20% bis 2021 ausreichen um die Mehrbelastung durch die CO2 Preise zu kompensieren. Unabhängig von einer Einstufung als „Stromerzeuger“ empfiehlt GALLEHR+PARTNER® jedem Industrie-Unternehmen aus rein ökonomischen Gründen jetzt mindestens einen Maßnahmenkatalog zur Effizienzsteigerung zu entwickeln und diesen mit den vorhandenen Förderprogrammen abzugleichen.

Sprechen Sie uns gerne an, sollten Sie Fragen zur professionellen Maßnahmenbewertung, Fördermittelrecherche bzw. zu Begleitung bei der Maßnahmen Umsetzung und des Fördermittel-Managements haben.

Empfehlungen

Einige von GALLEHR+PARTNER® betreute Anlagenbetreiber haben in den letzten Tagen Nachforderungen von der DEHSt über die Virtuelle Post Stelle (VPS) bzgl. der Einordnung der emissionshandelspflichtigen Anlage als „Stromerzeuger“ mit einer sehr kurzen Antwortfrist von zwei Wochen bekommen. Diese sind fristgerecht, unabhängig verifiziert und jeweils elektronisch signiert über die VPS zu beantworten. Sprechen Sie uns gerne jederzeit diesbezüglich an.

Grundsätzlich empfiehlt GALLEHR+PARTNER® in diesem Fall zur Formulierung der Antwort aber eine kompetente Rechtsberatung zu konsultieren. Sollten allgemeine Fragen zu der Nachforderung bestehen, kann vorab aber auch ein direktes informelles Telefonat mit dem DEHSt Kundenservice sinnvoll sein.

Unabhängig von den Nachfragen der DEHSt in Hinblick auf die Antragstellung zur freien Zuteilung von Emissionsberechtigungen für die vierte Handelsperiode sollte jeder Anlagenbetreiber, der in einer emissionshandelspflichtigen Anlage Strom erzeugt und in dieser keine weiteren Tätigkeiten gemäß Anhang 1 TEHG als die „Verbrennung von Brennstoffen“ durchführt, sich mit diesem Umstand der Einordnung als „Stromerzeuger“ befassen. Ob und welche Maßnahmen durchführbar sind, um die freie Zuteilung von Emissionsberechtigungen für die 4. Handelsperiode zu sichern, muss allerdings im Einzelfall geprüft werden.
Bisher ist GALLEHR+PARTNER® noch keine Anpassung der bestehenden Regelungen seitens der DEHSt bekannt. In jedem Fall ist bei betroffenen Anlagenbetreibern zu prüfen, inwieweit und unter welchen Bedingungen der Ersatz des bestehenden Kraftwerks durch eine hocheffiziente KWK Anlage zu einer Neubewertung der freien Zuteilung für die vierte Emissionshandelsperiode führen kann.

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